Auch in Europa beginnen erste Großbetriebe, humanoide Roboter im Industrieeinsatz zu testen. Ist das jedoch so ohne weiteres möglich? Welche Sicherheitsanforderungen und Vorschriften sind zu beachten?
Im Gegensatz zu den klassischen Industrierobotern sind humanoide Roboter menschenähnlich konstruiert. Das erlaubt ihnen, Arbeitsaufgaben zu übernehmen, die zuvor ein Mensch wahrgenommen hat. Ein kostspieliger Umbau des Arbeitsplatzes entfällt dabei. Das macht humanoide Roboter aus ökonomischer Sicht besonders interessant.

Bild: Pixabay (Download: 30.03.2025, 14:53)
Auch humanoide Roboter sind Maschinen
Trotz ihres menschenähnlichen Aussehens sind humanoide Roboter Maschinen. Die Europäische Maschinenrichtlinie 2006/42/EG oder die ab 2027 geltende Maschinenverordnung EU 1230 machen keine Ausnahmen. Wenn humanoide Roboter in Industrieumgebungen, z.B. in der Produktion eigesetzt werden, müssen sie die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllen. Das heißt, sie müssen mit einer EG-Konformitätserklärung und einem CE-Zeichen ausgestattet sein.
Wie aus Fachkreisen zu erfahren ist, können jedoch die meisten der derzeit verfügbaren humanoiden Roboter die Anforderungen der Europäische Maschinenrichtlinie noch nicht erfüllen. Darf man sie trotzdem ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen in der Industrie einsetzen? Die Antwort lautet zunächst Nein.
Testbetrieb
Andererseits ist es den Betrieben nicht untersagt, neue Technologien z.B. im Rahmen von Forschungsprojekten zu untersuchen und zu testen. Dabei kommen die humanoiden Roboter noch nicht in der Produktion zum Einsatz, sondern in einer abgeschlossenen Testumgebung. Jedoch sind auch diese Tätigkeiten nicht ohne Sicherheitsvorkehrungen zulässig. Die notwendigen technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen sind dabei im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach Betriebssicherheitsverordnung zu bestimmen. Die wichtigsten Verhaltensregeln sind als Betriebsanweisung festzulegen.
Gefährdungen durch humanoide Roboter
Um überhaupt eine Idee zu haben, welche Gefährdungen in Betracht kommen, sind Listen von signifikanten Gefährdungen an Industrierobotern hilfreich. Man findet sie in ISO 10218-1:2025, Anhang A und ISO 10218-2:2025, Anhang A. Ein Großteil dieser Gefährdungen ist auch auf humanoide Roboter anwendbar. Anleitungen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung befinden sich in den Technischen Regeln zur Betriebssicherheitsverordnung, z.B. TRBS 1111. Da die Technologie neu ist, erscheint es darüber hinaus unerlässlich, dass Hersteller und Betreiber bei der Aufstellung der Gefährdungsbeurteilung eng zusammenarbeiten.
Im Folgenden sollen zudem einige Besonderheiten von humanoiden Robotern aufgezeigt werden.
Zugang zum Gefahrenraum
Auch wenn humanoide Roboter menschenähnlich aussehen, so heißt das nicht, dass sie ungefährlich sind. Anstoßen und Einklemmen von Personen können zu Verletzungen führen. Die einfachste Maßnahme zur Abwendung dieser Gefahren, ist der aus der traditionellen Robotik bekannte Schutzzaun. Die Zugangstüren sind dabei mit Verriegelungen und Zuhaltungen nach EN ISO 14119 zu sichern. Der Zugang ist erst dann freizugeben, wenn sich die Roboter in einem sicheren Zustand befinden. Diese Schutzmaßnahme mag ein wenig altmodisch anmuten. Ist aber für den Test der noch neuen Technologie offensichtlich die am schnellsten anwendbare und zudem eine kostengünstigste und sichere Maßnahme. Angesichts dieser Vorteile bleibt die Umzäunung möglicherweise auch für den späteren Einsatz in der Produktion eine Option.
Not-Halt
Nach EG-Maschinenrichtlinie muss jede Maschine mit einem oder mehreren Befehlsgeräten zum Stillsetzen im Notfall ausgerüstet sein (Not-Halt). Humanoide Roboter verfügen je nach Bauart über 100-180 Antriebsmotoren. Hinzu kommen Getriebe, Gelenke und weitere mechanische Komponenten. Anders als bei traditionellen Industrierobotern verfügen die Antriebsmotoren der humanoiden Roboter in der Regel nicht über Bremsen. Die bei sonstigen Industriemaschinen üblichen Kategorie-0-Stop und Kategorie-1-Stop nach EN 60204-1 schließen den Not-Halt-Vorgang jedoch mit Energietrennung ab. Solange die humanoiden Roboter nicht über einen stabilen energielosen Zustand verfügen, kann die Auslösung eines Not-Halt zu neuen Gefährdungen führen, z.B. Fallen. Eine Aufhängung an beweglichen Seilführungen kann die Risiken mindern.
Kontakt mit dem Menschen
Auch wenn der Test von humanoiden Robotern noch hinter Schutzzäunen stattfindet, so möchte man doch wissen, welche Grenzwerte für einen späteren gewollten oder ungewollten Kontakt mit dem Menschen gelten. Denn bei einem potenziellen Kontakt darf es nicht zu Verletzungen kommen. Derzeit existieren noch keine speziellen Anforderungen für humanoide Roboter. Daher erscheint es sinnvoll, sich zunächst an die biomechanischen Grenzwerte für kollaborierende Roboter (Cobots) anzulehnen. Die Grenzwerte für Kraft und Druck befinden sich in ISO 10218-2:2025, Anhang M (vormals ISO/TS 15066).
Die Grenzwerte sind durch Kraft-Momenten-Sensoren innerhalb des Humanoiden Roboters zu überwachen. Allerdings ist aus der Cobot-Praxis bekannt, dass die genannten Grenzwerte in der Regel nur bei geringer Geschwindigkeit einzuhalten sind. Beispielsweise sind bei Gefahr durch Klemmen meistens nur Annäherungsgeschwindigkeiten von 250 mm/s oder weniger realistisch. Bei Gefahr durch Anstoßen meistens weniger als 500 mm/s. Ein geplantes Seite-an-Seite von Menschen und humanoiden Robotern müsste auch diesen Bedingungen Rechnung tragen.
Unerwartete Bewegungen
Wie bei traditionellen Industrierobotern, können Fehlfunktionen auch bei humanoiden Robotern nicht ausgeschlossen werden. Denn das Task-Programm oder die Programme sind nicht sicherheitsbewährt. Sie erfüllen in der Regel nicht die nach ISO 10218-1 oder -2 erforderlichen PL oder SIL. Humanoide Roboter können zudem ihre Gelenke sehr weit verdrehen oder bewegen, beispielsweise 360-Grad-Drehungen des Rumpfes. Die von den klassischen Industrierobotern bekannte, oft auch tückische Unvorhersehbarkeit von Bewegungen des Roboters gilt es daher bei humanoiden Robotern besonders zu beachten. Ebenso ist das Fallen des Roboters auf den Menschen bisher unbekannt, muss nun aber in Betracht gezogen werden.
KI-Prüfpflicht
Nicht selten sind die Steuerungssysteme der humanoiden Roboter mit Komponenten des maschinellen Lernens ausgestattet (KI). Wird davon auch die Personensicherheit des Roboters berührt, gelten nach der ab 2027 anzuwendenden Maschinenverordnung EU 1230 gesonderte Beistimmungen. Um eine Zulassung der Maschinen zum Inverkehrbringen zu bekommen, muss sich der Hersteller an eine von der EU-Kommission notifizierten Prüfstelle wenden. Das Verfahren sieht für den Hersteller verschiedene Module vor. Das bekannteste ist die EU-Baumusterprüfung.
Cybersecurity
Humanoide Roboter, die mit Datennetzwerken kommunizieren, können auch Ziel von Cyberangriffen werden. Für humanoide Roboter müssen daher auch Schutzmaßnahmen gegen Datenmissbrauch und -Manipulation vorgesehen werden. Entsprechende technische Anforderungen befinden sich in ISO 10218-1:2025 Abschnitt 5.1.16.
Neues Normungsprojekt
Für Roboter, die Energie benötigen, um stabil zu sein, bedarf es neuer Ideen und Konstruktionsprinzipen. Das gilt besonders für die Sicherheit. Daher wurde Anfang 2025 im ISO/TC 299 ein neues Normungsprojekt aufgesetzt: „Sicherheitsanforderungen für dynamisch stabile industrielle mobile Roboter (mit Beinen, mit Rädern oder andere Formen des Antriebs)“. Unter diese Norm werden künftig die humanoiden Roboter fallen aber auch die seit einigen Jahren bekannten sogenannten Roboterhunde. Zudem ist nach Fertigstellung auch eine Harmonisierung unter der Maschinenrichtlinie geplant.